Das Tier im Dschungel (La bête dans la jungle)

Das Tier im Dschungel, frei nach einer Kurzgeschichte von Henry James: 25 Jahre lang fiebern ein Mann und eine Frau in einem riesigen Nachtclub gemeinsam einem geheimnisvollen, unbekannten Ereignis entgegen.Von 1979 bis 2004: von Disco zu Techno. Erzählt wird die Geschichte einer Liebe, die Geschichte einer Besessenheit. Das große Unbekannte wird sich schließlich manifestieren, allerdings weitaus tragischer als erwartet...

Spieltermine

Kinostart 15.09.2023 u.a. im Stadtkino Wien, Votiv Kino.,  Schickaneder (english subtitles), KIZ Royalkino Graz,  Filmstudio Villach, Leokino Innsbruck, Programmkino Wels, Moviemento Linz, Diagonale Graz, Kino wie noch nie Wien, Kinothek Lustenau 

Pressespiegel

„Eine hypnotische audiovisuelle Reise.“ Kronen Zeitung

„Ein Hirngespinst mit Herzklopfen.“  fm4

„Ein betörender Film.“ Der Standard

„Das Licht verdunkelt sich im Laufe der Jahre, die Kleidung der Partyhungrigen freizügiger, die Frisuren legerer und die Neugier auf das Tier im Dschungel bei allen größer.“ Julia Baschiera für Ö1

„Man kann Chiha als einen cinematografischen Meister der Leiber verstehen.“ Die Furche

„Dass Das Tier im Dschungel die sehnsüchtigen Lebensfragen Henry Millers so eindringlich in ein filmisches Kunststück transformiert, ist dem Miterzählen des Clubs als Ort vieler Spielarten menschlichen Verlangens zu verdanken.“ Ray Filmmagazin

„Der Film entfaltet auf großer Leinwand seine immersive Wirkung.“ Filmfilter

„Glanzvoll und hypnotisch.“ Le Monde

„Ein magnetischer Film, faszinierend in der Reduktion, die er sich erlaubt, auf alle fadenscheinige Wendungen verzichtend, spannend in seiner Kunst, sich auf den Kern seiner Besessenheit richtet.“ Libération 

„Eine hypnotische Trance, die Nachtträumer*innen begeistern wird.“  L'Obs

„Eine Feier des Pop, der Liebe und des Todes.“ taz

„Eine pulsierende Ode an die Clubkultur und ein Plädoyer für die befreiende Macht des Sich verlierens im Rausch des Tanzes, des Lebens, der Liebe.“ Queer.de

„Ein verführerisches Nachtclub-Drama mit einer magnetischen Anaïs Demoustier in der Hauptrolle.“ Little White Lies

★★★„Tom Mercier und Anaïs Demoustier sind absolut unwiderstehlich und es ist ein Vergnügen, ihnen zuzusehen“ The Upcoming

"Eine unglaubliche existenzialistische Reise, romantisch, euphorisch, melancholisch und melodramatisch zugleich. Ein immenses, seltsames und aufregendes Unterfangen.“ Cineuropa

„Tanzen gegen den Blues des Lebens.“ Kurier

„Anaïs Demoustier glänzt. Der treibende, pulsierende Soundtrack wird für viele der entscheidende Anreiz sein.“Screen

„Anaïs Demoustier und Tom Mercier spielen die Anziehungskraft, die zwischen ihren ungleichen und doch auf mystische Weise füreinander bestimmten Figuren herrscht, herausragend.“ UNCUT

Patric Chiha gelingt es auf grandiose Weise, die Zartheit des ebenso tiefgehenden wie fragilen Bandes zweier Menschen mit der schieren Überwältigung von Clubsound und -licht zu verweben und dabei die betörendsten und lustvollsten Tanzszenen des gegenwärtigen Filmgeschehens zu inszenieren.Queer.de

„Hypnotisch. Chiha aktualisiert den Roman von Henry James mit subversiver Inbrunst.“ IonCinema

„Alles, was in einem Kinosaal geschieht (das Warten auf die Blendung, das Umschalten in eine alternative Realität, Euphorie und Melancholie), erzählt mithilfe all dessen, was das Kino ausmacht (Licht, Musik, Zeit, Bewegung und Romantik).“ Fiches du Cinéma

„Henry James, der mit großer Freiheit in die immerwährende Gegenwart eines Nachtclubs versetzt, in dem das Leben tanzend erträumt wird.“ Les Inrocks

„Die übernatürliche Poesie dieses Tier im Dschungel lädt zu einem Kinoerlebnis ein, das wie ein Rausch erscheint.“ Télérama
 

...die Ouvertüre aus Wagners „Lohengrin“ flammt immer wieder auf. Das musste emotional over the top sein – Telenovela eben. Interview im Profil mit Patric Chiha

Biografie

Patric Chiha wurde 1975 in Wien geboren. Er lebt seit seinem 18. Lebensjahr in Paris, wo er zunächst Modedesign studierte. Darauf folgte ein Studium der Filmmontage an der INSAS in Brüssel. 2009 drehte er seinen ersten Langspielfilm Domaine, der beim Filmfestival in Venedig Premiere feierte. Seine Filme werden erfolgreich auf internationalen Festivals gezeigt. Darunter Boys like us (2014) und die Dokumentarfilme Brüder der Nacht (2016) und Si c’était de l’amour (2020), die beide auf der Berlinale uraufgeführt wurden. Das Tier im Dschungel (2023), der ebenfalls auf der Berlinale Premiere feiert, ist sein fünfter abendfüllender Film.

Langfilme
2009: Domaine
2014: Boys like us
2016: Brüder der Nacht
2020: Si c’était de l’amour (Wenn es Liebe wäre)
2023: Das Tier im Dschungel

Kurzfilme
2004: Casa Ugalde
2005: Les Messieurs (Die Herren)
2006: Home
2007: Où se trouve le chef de la prison?

Festivals & Preise

Berlinale Panorama

Diagonale Eröffnungsfilm & Bestes Kostümbild (Claire Dubien)

Material

Filmplakat

Fotos (Film + Regisseur Patric Chiha)
Plakat
Presseheft

Social Media Package

Teaser Vimeo
Sommer-Trailer 89Sek. Vimeo, Youtube, DCP


Kino-Trailer Vimeo, Youtube, DCP

Interviews

Wie kam es dazu, dass du Henry James' Kurzgeschichte Das Tier im Dschungel verfilmen wolltest?

Patric Chiha: Es ist die Geschichte eines Mannes, der auf ein außergewöhnliches Ereignis wartet, das sein ganzes Leben verändern wird. Er bittet eine Frau, mit ihm darauf zu warten, und dieses Abenteuer wird sie auf tragische Weise beflügeln und zugrunde richten. Für mich hat die Geschichte dieses Paares die Kraft eines Mythos. Sie erinnert mich an unser Menschsein, daß wir Menschen immer zwischen Gegenwart und Traum, Realität und Fantasie hin- und hergerissen sind. Das Geheimnis vom Tier im Dschungel beschäftigt mich schon sehr lange. Es berührt etwas, über das niemand spricht, das aber jeder kennt: das erschreckende Gefühl, das eigene Leben zu verpassen, gerade weil man sich ein Leben über dem Leben erhofft, ein außergewöhnliches Leben, ein Leben, das man in die Zukunft projiziert. Ich wollte darüber einen Film machen, weil ich mir sicher bin, dass diese Spannung zwischen Wirklichkeit und Phantasie, zwischen realem und erträumtem Leben auch etwas mit Kino zu tun hat.

May und John, die beiden Protagonisten des Films, scheinen von einer geheimnisvollen Kraft bewegt zu werden, die sie nicht verstehen. Was ist das für eine Kraft, die sie dazu bringt, ihr Leben zu verpassen?

In Mythen ist die Geschichte sehr einfach und gleichzeitig sehr mysteriös. Was ist denn überhaupt das wilde Tier? Was ist das für eine Gefahr, die auf sie lauert? Was bedeutet es, auf ein anderes Leben zu warten? Sein Leben zu verpassen? In der Kurzgeschichte ist es glasklar und doch bekommen wir es nicht wirklich zu fassen. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Kurzgeschichte vollständig verstanden habe. Wir machen Filme ja gerade deshalb, weil uns etwas auffällt oder uns bewegt, wir es aber nicht benennen oder erklären können. Wenn ein Zweifel oder ein Geheimnis auftaucht, entsteht in mir der Wunsch nach einem Film. Als Regisseur, aber auch als Zuschauer suche ich nach einer überraschenden Emotion, die den linearen Ablauf unterbricht und mir einen neuen Blickwinkel eröffnet. Das ist das Gegenteil von programmatisch. Beim Schreiben, Drehen und Schneiden mussten wir immer sehr darauf achten das Geheimnis vom Tier im Dschungel zu bewahren und nie versuchen, es zu erklären, sondern uns stattdessen darin zu verlieren und uns überraschen zu lassen. Mir ist sehr wichtig, dass es noch eine Kunst des Unbekannten und des Mysteriums geben kann. Man muss das Risiko eingehen, sich in einen Schauspieler, eine Geste oder einen Blick zu verlieben, von dem man nicht im Voraus weiß, was er sagen will.

Was uns der Film im Grunde genommen sagt, ist, dass wir immer etwas verpassen. Unsere Hoffnungen werden nie wirklich belohnt.

Das (Absolute) ist unser Kampf als Menschen. Wir verpassen offensichtlich jeden Tag etwas, indem wir auf etwas anderes hoffen. Jedes Leben ist das Verpassen eines anderen Lebens. Aber wenn wir, wie Mays Figur, verfügbarer und offener sind, werden wir die Dinge trotzdem intensiv erleben.

May, die Protagonistin, lässt sich in Johns Wahn hineinziehen. Es gibt eine Szene, in der er sie etwas herrisch am Arm packt und sie auffordert, ihm zu folgen, was sie ohne großen Widerstand tut.

Ja, er hat in ihr eine Schwester, eine Komplizin erkannt. Sie ist die einzige Person, die sein Geheimnis kennt und nicht denkt, dass er verrückt ist, die ihm glaubt. Mays Glaube stärkt seinen eigenen Glauben. John mag stur sein, nicht von dieser Welt, aber er hat die Unschuld eines Kindes. Er hält sein ganzes Leben lang an seinem Traum fest: Als Kind hat er verstanden, dass er zu etwas bestimmt war, und er glaubt immer noch daran. Was für eine Unreife, aber auch Unschuld! Natürlich zieht er sie in seine Geschichte hinein, aber sie lässt sich schnell mitreißen. Als ob sie nur darauf gewartet hätte. Einmal sagt sie: "Ich mag es, wenn das Leben wie ein Roman ist". Nun, er bietet ihr eine verrückte, romantaugliche Geschichte, das aufregendste Leben, das man sich vorstellen kann. Sie will eine Heldin sein, ein Filmstar, das Leben in einer größeren Dimension erleben. In mancher Hinsicht glaubt sie sogar mehr als er daran, zum Beispiel als er einmal einknickt und sie ihn dazu bringt weiterzumachen.

Hast du dich beim Drehbuchschreiben gefragt, wie du es schaffen könntest, dass man sich mit diesen beiden Antihelden, diesen "Versagern" und Lebensverweigerern, identifizieren und sie zu tragischer Größe führen kann?

Meine Co-Autorinnen Axelle Ropert und Jihane Chouaib und ich haben diese beiden Figuren schon immer sehr gemocht. Die Kurzgeschichte ist bewegend, aber eher analytisch und mit einer Art kalter Ironie aufgeladen. Wir wollten mit dem Film mehr in Richtung Tragödie und Melodram gehen und die Protagonist:innen, die in der Kurzgeschichte eher Figuren sind, lebendiger machen und uns näher bringen. Wie kann man sie voller Emotionen zeigen, die nicht immer narrativ oder psychologisch motiviert sind? Der Nachtclub bietet diesen idealen Raum für Überraschungen, wo man etwas zum Anschauen hat und große Emotionen erleben kann.

Das Schöne an dem Film ist die Dialektik zwischen May, die voller Vitalität und Bewegung ist, und John, der ein Block aus Unbeweglichkeit ist. Selbst seine Kleidung ändert sich nie.

Sie sind sehr unterschiedlich, aber ich sehe sie als Waffenbrüder. Sie suchen das Gleiche, aber ihre Wege sind asynchron. John ist einsam und schüchtern, während May hell und stark ist. Beide sind zunächst blind für das Schicksal, das ihnen droht, und beide bekommen schlussendlich ein Bewusstsein dafür, aber nicht zur gleichen Zeit. May, die klarer ist, versteht an einem Punkt, dass das "Ding", auf das sie warten, wahrscheinlich die Liebe ist und dass sie diese nie vollständig mit John teilen wird können. Sie versucht ihm das mit einer letzten Geste bei sich zuhause klarzumachen, und beschließt dann nachts auf dem Dach, ihn aus Liebe vor einer allzu schmerzhaften Wahrheit zu bewahren. John versteht das erst ganz am Ende. Auf dem Friedhof erkennt er, dass das Absolute, nach dem er gesucht hat, die Liebe und May war, dass er das Risiko hätte eingehen müssen, sie zu lieben. Erst dann beginnt er in der Gegenwart zu leben, es ist das erste Mal, dass er echte Gefühle empfindet, aber es ist zu spät.

Wie bist du mit Tom Mercier die Rolle des John angegangen?

Ich sehe John als jemanden, der nicht lebt, der neben dem Leben steht. Ganz radikal. Das ist sehr selten und sehr seltsam. Tom Mercier hat der Figur einen sehr persönlichen, einzigartigen Charakter verliehen. Er hat seinen eigenen Rhythmus, der asynchron zur gesellschaftlichen Norm verläuft, seine ungemein starke Präsenz, die immer daneben ist, seine Komik und seine Traurigkeit. Tom muss etwas sehr Komplexes spielen, da seine Figur nur wenige erzählerische oder psychologische Momente hat, um sich zu entwickeln. Er steht wirklich still. Wir haben in den Proben viel daran gearbeitet, wie er stehen, sinken und sitzen soll, mit der Vorstellung im Kopf, dass er fast wie eine Puppe und nicht ganz fest ist. Es ist sehr körperlich, was er macht, auch wenn das auf der Leinwand kaum auffällt. Wir alle haben solche Freunde, die ein wenig aus dem Takt geraten oder in ihrem eigenen Rhythmus sind.

Im Gegensatz dazu erlaubt sich Anaïs Demoustier ein viel ausdrucksstärkeres Spiel.

Der Weg, den Anaïs Demoustier im Film gegangen ist, ist unglaublich. Auch wenn wir nicht immer den Sinn von allen Szenen oder Dialogen verstanden haben (wir lachten oft am Beginn des Drehtages darüber), gab sie sich dem Ort, der Musik, der Figur, dem Film völlig hin. Am Anfang ist May so exaltiert, so fröhlich, so brennend, so absolut lebendig. Anaïs und ich waren auf der Suche nach Überempfindlichkeit, Überemotionalität und einem übertriebenen Spielduktus. In einem Nachtclub wird jede Emotion verstärkt, das Leben ist eine Fiktion. Doch nach und nach beginnt May John zu ähneln, sich aus der Welt zurückzuziehen, müde zu werden und auszubrennen, ohne jedoch jemals aufzuhören, ihre Geschichte zu leben. Im Gegenteil, sie lebt sie immer in vollen Zügen. Und zwar wirklich. Diese Frage von Fiktion und Realität, von Overacting und "Nacktheit" habe ich mit allen Schauspielern besprochen. Als ob wir erst nach aller Künstlichkeit, nach dieser Übertreibung und der der Nacht eigenen Exaltiertheit wieder wir selbst werden könnten.

Als ich den Film gesehen habe, musste ich an einen Stummfilm denken, in dem das Spiel oft übertrieben ist und die Dinge vor allem durch Mimik und Haltung ausgedrückt werden. Ich habe den Eindruck, dass dein Film in einer Genealogie steht, die bis zu manchen Filmen von Pabst wie Die Büchse der Pandora zurückreicht.

In meinem Film wird viel gesprochen. Aber ich sehe das Sprechen immer eher als Handlung denn als Träger von Botschaften. Während der Dreharbeiten wurde oft über Telenovelas gesprochen, in denen alles sehr übertrieben ist. Und bei den Proben und der Recherche mit Anaïs haben wir mit Modefotos aus den 40er Jahren gearbeitet, mit Posen und Gesten. Wir suchten nach relativ künstlichen und übertriebenen Gesten, unabhängig von den Szenen und dem, was gesagt wird. Und ich nehme an, dass man das im Film auch spürt. Die Figuren tanzen die ganze Zeit. Selbst wenn sie auf einem Sofa sitzt, bat ich Anaïs, das Gefühl zu vermitteln, dass sie weiter tanzt. Sie hebt die Arme übertrieben hoch, wenn sie glücklich ist, das Mädchen in der Umkleidekabine wischt sich sehr melodramatisch die Tränen ab, Béatrice Dalle lächelt ironisch, alles wird übertrieben. Außerdem: Sind wir in einem Nachtclub nicht ohnedies ständig exaltiert? In der ersten Szene, in der May zum ersten Mal an diesen Ort kommt, betritt sie einen magischen Wald und wir haben nach Gesten gesucht, die diese Exaltiertheit spürbar machen. May kommt in den Tempel der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie will alles berühren. Ich musste an Naomie Watts in Mulholland Drive denken, als sie in Los Angeles ankommt und ihr alles wunderbar erscheint.

Auch im Stummfilm erscheint alles wie eine eigene Welt, ein Traum, und ich hatte bei deinem Film das gleiche Gefühl.

In unseren Träumen sind die Gefühle echt. Was wir in der Nacht geträumt haben, haben wir wirklich erlebt. Im Grunde genommen mache ich nicht so viel Unterschied zwischen Realität und Fantasie. Die Fantasie erscheint mir so real wie meine Stromrechnung. Und es ist Béatrice Dalle, die uns durch diese Traumwelt führt... Ich habe die Figur der Türsteherin für sie geschrieben. Sie hat in meinem ersten Film Domaine (2009) gespielt und ich wollte schon lange wieder mit ihr arbeiten. Ihre Präsenz, die gleichzeitig so konkret und so losgelöst oder schwebend ist, erschüttert mich immer wieder. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Der Film ist in französischer Sprache und spielt in Paris, wir haben in Brüssel und Wien gedreht, und da ich Österreicher bin, hat der Film zweifellos auch etwas Germanisches an sich. Und wenn du Pabst erwähnst, dann ist diese Art von Regisseuren zweifellos Teil meiner Kultur. Ich verbinde ihn übrigens mit etwas anderem, das auch Teil meiner Geschichte ist: diese Vorliebe für die Schönheit der Dunkelheit, der Romantik. Es ist zweifellos ein sehr romantischer Film im ursprünglichen Sinne des Wortes. Den Emotionen vor dem Verstehen vertrauen. Oder genauer gesagt: den Emotionen als Weg zum Verständnis vertrauen.

Schlussendlich suchst du die Wahrheit in der Künstlichkeit.

Ja, genau. Aber seltsamerweise habe ich das durch die Dokumentarfilme, die ich gedreht habe, wie Brüder der Nacht , gelernt. Ich glaube zutiefst daran, dass man der Künstlichkeit des Kinos vertrauen muss. Man sollte nicht so tun, als sei diese Kunst nicht künstlich, obwohl sie es übermäßig ist, da sie sowohl die Zeit als auch den Raum zerschneidet. Ich stelle eine Welt her mit Licht, Kostümen, Musik und Rauch, aber gleichzeitig entblöße ich sie auch. In einem Nachtclub sieht man, dass alles nicht echt ist. Die Freude oder die Traurigkeit werden dort verstärkt, die Lichter sind übertrieben und dann geht man in den frühen Morgenstunden nach draußen und all das Falsche scheint einem trotzdem das Leben gewesen zu sein. Die Inszenierung ist ein bisschen wie Karten aufdecken, aber ich hoffe, dass am Ende der Fälschung, am Ende dieser Künstlichkeit, die Menschen wieder nackt sind. Das ist es, was ich durch den Dokumentarfilm begriffen habe. Es ist wie wenn Kinder spielen: sie verkleiden sich, aber dennoch sehen wir sie - durch all das hindurch - so, wie sie wirklich sind. Das ist es auch, was ich an Schauspielern bewundere, wie die Gestaltung einer Figur etwas über sie selbst erzählt.

War die Idee, Henry James’ Geschichte in einen Nachtclub zu verlegen, von Anfang an da?

Erst als ich die Idee mit dem Nachtclub hatte, habe ich mich getraut, mich auf dieses Projekt einzulassen. Diese besondere Kulisse macht den Film zu einer Art Dokumentation über einen Nachtclub von 1979 bis 2004. Dieser Nachtclub ist zugleich der euphorische Raum der permanenten Gegenwart, der ewigen Jugend und der melancholische Raum der unendlichen Zeit, weil er außerhalb der Realität, außerhalb des Alltags, existiert. Er ist ein Theater, in dem man das Leben mehr träumt als lebt. Er ist also der ideale Raum, um die Geschichte von May und John zu inszenieren, die in ihrer Suche nach dem Absoluten gefangen sind.

Die Party und die Ernüchterung, die auf den Überschwang folgt, scheinen mir wie eine Metapher für das Leben selbst zu sein.

Während der langen Zeit, in der ich an diesem Film geschrieben habe, ging ich immer wieder in Clubs, vor allem in Berlin. Im Berghain gibt es zwei Räume, die Tanzfläche und eine Art Balkon, von dem aus man die Tanzfläche beobachten kann. Die Hälfte der Zeit tanze ich, die andere Hälfte stehe ich auf dem Balkon und beobachte die Leute, projiziere Geschichten auf sie, die diese Nacht in eine Fiktion verwandeln, die viel größer ist als eine Nacht im Club. Es ist ein großer Genuss, wenngleich auch ein wenig morbid, zu leben und auch zuzusehen, wie man lebt. Übrigens haben wir eine Idee aus dem Berghain übernommen, wo gegen 5 Uhr morgens, wenn der Tag anbricht, im oberen Raum die Jalousien geöffnet werden. Plötzlich kommt man aus der Nacht heraus und das Leben beginnt wieder. Dann werden die Jalousien wieder geschlossen, um uns nicht zu abrupt aus unserer Fiktion zu reißen. Diese seltsame Zeitlichkeit zwischen Tag und Nacht, Leben und Tod ist gleichzeitig euphorisierend und sehr melancholisch.

Das Schöne ist, dass der Nachtclub ein ganz eigenes Leben hat, unabhängig von der Geschichte und den Figuren, die dort sind.

Eine der Herausforderungen bei der Inszenierung war, dass die Menschen dort wirklich leben und tanzen, und dass diese Tänzer nie als Statisten betrachtet werden. Sie sind die möglichen Stars einer Einstellung (was ich ihnen während der Dreharbeiten gesagt habe), sie tragen tausend Fiktionen in sich. Man ist immer am Anfang einer Geschichte oder am Ende einer anderen, und diese wunderbare Menge an Tänzern machte begeistert mit. Wir drehten als die Covid Restriktionen voll im Gange waren. Das hat uns sehr geholfen, denn alle wollten zum Wesentlichen zurückzukehren, zu diesem vitalen Bedürfnis, gemeinsam zu tanzen. Und ich hoffe, dass man diese wiedergewonnene Vitalität auch auf der Leinwand sehen kann.

Dank des Nachtclubs gelingt es den etwas abstrakten Figuren von Henry James durch Konkretes wie Tanz und Musik lebendig zu werden.

Tanz oder Musik bringen uns immer in die Gegenwart zurück, zu grundlegenden Gefühlen, die wir nicht erklären müssen. Vielleicht sogar bis zur Entstehung des Kinos. Ich stelle immer eine Verbindung zwischen dem Tanzen und der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof von La Ciotat der Brüder Lumière her, nämlich die Freude an der Bewegung und deshalb auch das Erleben der absoluten Realität der Bewegung. Wenn man Menschen beim Tanzen zusieht, fragt man sich nicht, was das bedeutet. Bei John Ford und Jacques Demy wird getanzt, um zu tanzen. Die Aufnahmen von Tänzern ermöglichen es uns meiner Meinung nach, diese Dimension von Konkretheit und Gegenwärtigkeit beim Tanzen zu spüren.

Der Nachtclub erzählt auch die Geschichte der Zeit, durch neue Musikrichtungen, die entstehen und durch die Kleidungsstile, die sich verändern.

Eine der Herausforderungen des Films ist die Darstellung von Zeit, wie sie vergeht, taumelt und sich schließlich auflöst. Ob im Bild, im Ton, in der Musik, in den Kostümen, in der Ausstattung - die Bewegung der Zeit stand immer im Zentrum unserer Überlegungen. Während die Atmosphäre zu Beginn warm und sogar ein wenig pompös ist, wird sie zunehmend industrieller und kälter. Alles ändert sich ständig, außer May und John, die in einer permanenten Gegenwart, einer unendlichen Zeit, gefangen sind. Übrigens ist das Alter in einem Nachtclub, wo nur der Augenblick zählt, eine ziemlich vage Kategorie. Ich habe die beiden Schauspieler also nicht künstlich verjüngt oder gealtert, sondern versucht mithilfe von Licht, Kostümen und Make-up unterschiedliche körperliche Zustände zu suggerieren. Indem sie sich der Realität verweigern, leben John und May in einer seltsamen Zeit. Das gilt auch für die allgemeine Zeitlichkeit des Films: Während der Zeitablauf zu Beginn konkret ist, wird er zunehmend elliptisch, schwindelerregend. Und Chronos, der Gott der Zeit und des Schicksals, verschlingt am Ende seine Kinder!

Nach dem Ende des ersten Teils, in dem die Aids-Epidemie den Nachtclub entvölkert hat, kommt eine neue Generation und der Film nimmt eine neue Wendung, einen neuen Rhythmus, erfindet sich neu in einer neuen Zeit.

Beim Schnitt haben wir viel mit dem Aufbau und dem Rhythmus der Zeitläufe gearbeitet. Wie erzählt man eine Geschichte über 25 Jahre hinweg, in einer geschlossenen Gesellschaft, an einem Ort, wo zwei Figuren auf das Eintreffen eines Ereignisses warten? Einige Momente des Films sind sehr erzählerisch, aber ich ahnte schon vor den Dreharbeiten, dass wir in dem von dir erwähnten Moment, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1990, im Herz des Films angekommen sind. Sobald die Geschichten vorbei sind (Mays Mann ist weg, John hat das Mädchen aus der Garderobe vergessen), sobald wir uns von der Narration lösen, sind wir direkt bei ihnen, bei ihrem Warten angelangt.

Auch physisch sind sie nicht mehr bei den Tänzern, sondern auf dem Balkon, sie sind zu den Zuschauern geworden, die du in deinem Berghainerlebnis beschrieben hast.

Ja, John und May sind im Theater. Sie nehmen nicht mehr teil. Außerdem filmen wir die Tänzer ab diesem Zeitpunkt nur noch von oben, vom Balkon aus. Das ist auch etwas, das sich radikal ändert: Wir gehen nicht mehr auf die Tanzfläche, in die Euphorie des Tanzes.

Du hast zu Beginn des Interviews gesagt, dass Henry James' Kurzgeschichte auch etwas mit Film zu tun hat?

Ja, und mein Film ist vielleicht auch ein Film über das Kino, diese im Moment so ungeliebte Kunst. Sind wir im Kinosaal nicht alle May und John, diese Zuschauer, die auf der Oberfläche der Leinwand oder der Welt nach einer Bestie Ausschau halten, die auftauchen und unser Leben über den Haufen werfen könnte?

 

Das Gespräch führte Jean-Sébastien Chauvin.

diagonale Eröffnungsfilm

Die Diagonale freut sich, bekanntgeben zu dürfen, dass das Festival des österreichischen Films am Dienstag, den 21. März mit Patric Chihas Spielfilm Das Tier im Dschungel (La bête dans la jungle, AT/BE/FR 2023, 103 min) eröffnet. Dem Langfilm zur Seite gestellt wird in diesem Jahr Viktoria Schmids experimentelle Miniatur NYC RGB (US/AT 2023, 7 min), deren Weltpremiere den Auftakt des Galaabends bildet.

Nach seiner Uraufführung bei der Berlinale wird der von Ebba Sinzinger und Vincent Lucassen (WILDart FILM) mitverantwortete Film Das Tier im Dschungel im Anschluss auf der temporär größten Leinwand des Landes – in der Helmut List Halle – in Anwesenheit von Patric Chiha, Karina Ressler (Montage), Dino Spiluttini (Originalmusik), Céline Bozon (Kamerafrau), den Produzent*innen und Teilen des internationalen Schauspielensembles rund um Anaïs Demoustier, Tom Mercier, Béatrice Dalle und Martin Vischer als österreichische Erstaufführung zu sehen sein. Patric Chihas Das Tier im Dschungel ist eine pulsierende Ode an großstädtische Clubkultur, ein Plädoyer für die befreiende Macht des Sichverlierens im Rausch des Tanzes, des Lebens, der Liebe. Mit NYC RGB wiederum zeigt Viktoria Schmid einen durch historische Farbfilmverfahren verschobenen Blick auf New York. Ein Beweis für das die Wirklichkeit aufsprengende Potenzial des Kinos.

„Wir freuen uns, den letzten von uns verantworteten Diagonale-Eröffnungsabend mit einem der Welt zugewandten Programm zu begehen: Patric Chihas Kino verweigert sich seit jeher geografischer und genrespezifischer Zuschreibungen. Das Tier im Dschungel ist ein melancholischer, wunderschöner Film von größter Eleganz und faszinierender Anmut. Das ist nicht nur in Zeiten wie diesen ein wahrer Glücksfall. Selten gab sich das österreichische Kino mondäner, waren sich Kino-, Pop- und Clubkultur vor dem Hintergrund der immer wieder einbrechenden‚ kurzen Geschichte des 20. Jahrhunderts näher. Selten hat sich das Kino hierzulande selbstbewusster als Sehnsuchtsmaschine artikuliert. Zum Auftakt und dazu wahlverwandt: NYC RGB, Viktoria Schmids ‚farbverschobene‘ Ode an das Kino, an die Filmgeschichte und die untrennbar damit verwobene Stadt New York City. Mit Patric Chiha und Viktoria Schmid führen all jene Themen und Motive über die Leinwand ins Festival, die uns in all den Jahren fasziniert haben: Musik, Pop – und nicht zuletzt das Kino selbst. Zuvorderst: die Sehnsucht und die Liebe. Ein Doppel der Sinnlichkeit! Wir freuen uns außerordentlich, gemeinsam mit dem Eröffnungspublikum in eine rauschhafte Nacht einzutauchen.“
——— Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, Festivalleitung

 

Paris, Berlin, Graz – Mode, Film, Tanz!

Patric Chiha wurde 1975 in Wien geboren. Er studierte Modedesign in Paris und Filmmontage an der INSAS in Brüssel. Nach einer Reihe von Kurzfilmen – darunter der in der steiermärkischen Ramsau realisierte Home (FR/AT 2006) – drehte Chiha 2009 seinen ersten Langspielfilm Domaine (AT/FR 2009), der beim Filmfestival in Venedig Premiere feierte und bei der Diagonale’10 zu sehen war. Seine Filme werden erfolgreich auf internationalen Festivals gezeigt, darunter die beiden Dokumentarfilme Brüder der Nacht (AT 2016) und Wenn es Liebe wäre (FR 2019), die nach ihrer Uraufführung bei der Berlinale auch im Wettbewerbsprogramm des Festivals des österreichischen Films in Graz gezeigt wurden. Chiha war Teil der Spielfilmjury der Diagonale’19, Das Tier im Dschungel ist sein fünfter abendfüllender Film.

 

Das Tier im Dschungel: „Man muss tanzen, das kann uns niemand nehmen.“

Patric Chihas Das Tier im Dschungel führt in den Nachtclub einer Großstadt, in dem die beiden Hauptfiguren May (Anaïs Demoustier) und John (Tom Mercier) sich für einen Zeitraum von über zwanzig Jahren wie in einem Spinnennetz verfangen. Die beiden sind seit ihrer Jugend durch ein mysteriöses, unergründliches Geheimnis aneinandergefesselt. Während sie auf dessen Eintreten warten, erbebt in ihren Körpern und um sie herum die Musik von 1979 bis 2001, befinden sich Zeit und Moden ringsum im steten Fluss.

„Man muss tanzen, das kann uns niemand nehmen.“ Die Kraft des tanzenden Körpers und der Rausch der Freiheit, der ihm dabei innewohnt, waren seit jeher Mittel der Rebellion, aber auch Akte des Aufbäumens. Im Nachtclub keimt der Widerstand, er war immer schon Ort der Realitätsflucht, der unendlichen (Un-)Möglichkeiten, des Ausbrechens aus den Zumutungen des Alltags und der Selbstermächtigung zugleich. Hier bilden sich Gemeinschaften, hier führt Begehren nicht selten zu Liebe. Stets ist er ein sinnlicher und auch politischer Ort, an dem sich Subkultur und Mainstream aneinander reiben, Konventionen gebrochen und neue Regeln etabliert werden – die Nacht folgt ihren eigenen Gesetzen.

Patric Chihas Das Tier im Dschungel fesselt uns an den Nachtclub einer Großstadt, in dem die beiden Hauptfiguren May und John sich für einen Zeitraum von über zwanzig Jahren wie in einem Spinnennetz verfangen. Die beiden sind seit ihrer Jugend durch ein mysteriöses, unergründliches Geheimnis aneinandergefesselt. Während sie auf dessen Eintreten warten, erbebt in ihren Körpern und um sie herum die Musik von 1979 bis 2001, befinden sich Zeit und Moden ringsum im steten Fluss. Frei nach einer Kurzgeschichte von Henry James fiebern wir mit May (Anaïs Demoustier) und John (Tom Mercier) dem Unbekannten entgegen, lauschen ihrem Dialog der Obsession und harren mit ihnen der allerfüllenden Erlösung. Chiha gelingt es auf grandiose Weise, die Zartheit des ebenso tiefgehenden wie fragilen Bandes zweier Menschen mit der schieren Überwältigung von Clubsound und -licht zu verweben – und dabei die betörendsten und lustvollsten Tanzszenen des gegenwärtigen Filmgeschehens zu inszenieren. Seine ausgeprägte Feinfühligkeit für Choreografie hat Chiha bereits 2019 mit Wenn es Liebe wäre unter Beweis gestellt – eine Hommage auf das junge Ensemble der gefeierten Performancearbeit „Crowd“ von Gisèle Vienne. Vom queeren Discoglitter und von ineinander verschlungenen Körpern der 1970er-Jahre über New Wave und Klaus Nomi bis hin zur Vereinzelung der drogeninduzierten Techno-Trance der 1990er-Jahre beschreibt Chiha den Club als gemeinschaftlichen Ort der Freiheit, in den jedoch das politische Weltgeschehen regelmäßig einbricht. Als einzige Allwissende – selbstverständlich die Türsteherin – geleitet die legendäre Béatrice Dalle uns als Erzählerin mirakelgleich hin zum Unausweichlichen. Chihas Ode an das zeitlose Mysterium Liebe und die Clubkultur ist ein Plädoyer für die befreiende Macht des Sichverlierens im Rausch des Tanzes – im Rausch des Lebens.

[Quelle: diagonale]