De Facto

In rastlosen Monologen rezitieren zwei Schauspieler Zeugenberichte und Täteraussagen aus nicht genannten zeitgeschichtlichen Konflikten. Ohne Kontexte zu benennen, erzählen sie von der Entfesselung von Gewalt – von (un)menschlichen Abgründen, zu denen DE FACTO in einer kompromisslosen, beharrlichen und minutiös durchdachten philosophisch-literarischen Verhandlung von Täterschaft vordringt. Diagonale, Festival des Österreichischen Films, Martina Genetti

Spieltermine

Kinostart: 6. September 2024, u.a. im Metro Kinokulturhaus Wien, Votiv Kino Wien, KIZ RoyalKino Graz, Leokino Innsbruck, Moviemento Linz.

Pressespiegel

Selma Doborac gelingt eine außergewöhnliche szenische Reflexion von Täterschaft im Kontext von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zudem Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarischen neu auslotet. Ein mutiger und eindrücklicher Film, der Diskussionen mit dem Publikum anstößt und Reflexionen der (eigenen) Geschichte anregt. Filmdienst

DE FACTO ist ein filmisches Meisterwerk, das nicht nur die Wichtigkeit von Achtsamkeit und Wachsamkeit gegenüber populistischer und faschistischer Rhetorik hervorhebt, sondern auch die Macht von Kino. Radical Art Review, Noemi Ehrat

Alle formalen Entscheidungen von Doborac – Dauer, Montage, Dekor, Aufführungsstil – sind selbstbewusst konzeptionell. Sie hat eine Brecht’sche Verfremdungsmaschine entworfen, die alle Register zieht. Filmmaker Magazine, Darren Hughes

Das Ergebnis ist ein radikaler Akt des Mutes, sowohl in Hinsicht auf die formale Kühnheit von DE FACTO als auch in Hinsicht auf das existenzielle Engagement, sich in die dunkelsten psychologischen Bereiche zu wagen. Äußerst unbehaglich, intelligent konzipiert und geistig, emotional und ethisch herausfordernd. The Film Verdict, Carmen Gray

DE FACTO ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie das Kino in einer Zeit der Überfülle an Inhalten immer noch ein Werkzeug für Veränderungen sein kann. Gerade angesichts zahlreicher Filme … (die explizite Kämpfe, Zerstörung und Tod ausstellen – vergebens) … wird DE FACTO, in seinen markant spärlichen Mitteln, zu einem perfekten Beispiel dafür, wie das Kino die Grenzen der Kunst überschreiten und in Bereiche der Psychologie und der Sozialwissenschaften vordringen kann. Seine radikalen künstlerischen Entscheidungen zwingen uns dazu, einen öffentlichen Dialog über oft verschwiegene Themen zu beginnen. Kunst kann Wache stehen; Selma Doborac und DE FACTO haben bereits einen beeindruckenden Kampf geliefert. FIPRESCI, Elena Rubashevska

Zu sagen, dass dieser Film schwer anzusehen ist, ist ein Understatement; und um ehrlich zu sein, ist es auch nicht einfacher, ihn zu rezensieren. Aber wenn es einen Titel gibt, der die Bezeichnung "Muss man gesehen haben" verdient, dann ist das DE FACTO. Wenn Joshua Oppenheimer und Errol Morris das Reenactment als gültige Technik im Dokumentarfilmkanon legitimiert haben, geht Selma Doborac noch weiter. Sie verneint nicht nur das Reenactment, sondern erfindet sie neue Wege, um die Beziehung zwischen Welt und Film in einer Weise zu inszenieren und zu de-inszenieren, die in höchstem Maße radikal ist und ethisch. Cineuropa.org, Savina Petkova

[Doborac’] Film ist eine Studie des filmischen oder gar theatralen, körperlichen Hervorholens, das Gegenteil einer Verdrängung. Sie wagt, dort weiterzudenken, wo große Filmemacher, die sich mit der Repräsentation des Nicht-Repräsentierbaren beschäftigt haben, aufhörten. Und sie zeigt, dass tatsächlich noch nicht alle Fragen beantwortet wurden. DE FACTO zeigt ein unablässiges Umgehen der üblichen Fallstricke im Umgang mit Unmenschlichkeit. Ihr Film setzt weniger ein Verstehen (oder gar eine Identifikation) der Täter oder der Ereignisse voraus, als vielmehr ein strukturelles Denken, das versucht zu verstehen, wie Täter denken und argumentieren oder, um es größer zu formulieren, wie man über das Böse denken könnte. Das Hervorholen entfaltet sich auf drei Ebenen, die alle eint, dass sie auf eine unbedingte Vergegenwärtigung zielen: a) der inhaltlichen, textlichen Auseinandersetzung mit Tätern und deren Taten (Erinnerung), b) den Körpern, die dieses Hervorholen praktizieren oder darstellen, c) der filmischen Arbeit an der Zeit. Fidback, Revue de cinéma, Patrick Holzapfel

Biografie

Selma Doborac, geboren in Bosnien und Herzegowina, lebt und arbeitet in Wien, ist für ihren unverwechselbaren Ansatz Filme zu machen anerkannt. Indem sie fließend Elemente des Essays, des Dokumentar- und des Spielfilms, des Experiments, sowie der Fotografie und der Konzeptkunst in einander verschmelzen lässt, schafft sie zum Nachdenken anregende und innovative Werke, die Grenzen traditionellen Geschichtenerzählens sprengen. Sie studierte Medienübergreifende Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien, Klasse von Bernhard Leitner, sowie Filmkunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Klasse von Harun Farocki. Zahlreiche Filmfestival- und Ausstellungsbeteiligungen, sowie Auszeichnungen und Stipendien weltweit. Nach ihrem mehrfach international ausgezeichneten Essayfilm Those Shocking Shaking Days (2016), folgte bei der 73. Berlinale im Berlinale Forum die Welturaufführung des Spieldokumentarfilms De Facto (2023), auch dieser wurde bei seiner Weltpremiere als auch auf folgenden internationalen Filmfestivals mit Preisen ausgezeichnet.

Festivals & Preise

Berlinale, Internationale Filmfestspiele Berlin, Forum
Auszeichnung: Caligari Filmpreis (International Competition)

Diagonale, Festival des Österreichischen Films  

Crossing Europe Filmfestival
Auszeichnung: Crossing Europe Local Artist Award (Competition Local Artist)

FID Marseille International Film Festival

Sarajevo International Film Festival
Auszeichnung: Special Award for Promoting Gender Equality (International Competition)

Gegenkino Film Festival Leipzig

BIEFF – Bucharest International Experimental Film Festival

Black Canvas Festival de Cine Contemporáneo, Mexico

Underdox – Internationales Filmfestival für Dokument und Experiment, München

MIRAGE Film Festival for the Art of the Real, Oslo

Doclisboa, Festival Internacional de Cinema, Lissabon

IDFA – International Documentary Film Festival Amsterdam

Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest

Gijón International Film Festival
Auszeichnung: Bester Langfilm Sección Oficial International Competición Retueyos (International Competition)

This Human World – International Human Rights Film Festival Wien

Festival Cinematográfico Internacional del Uruguay, Cinemateca Uruguaya, Montevideo

Material

Filmplakat

Plakat, Fotos

Vimeo Trailer DE, Vimeo Trailer EN

Katalogtexte & Kuratorische Texte

Die Frage nach der Repräsentation historischer Täterschaft, die durch Auteurs wie Resnais, Marker und Lanzmann popularisiert wurde, ist eine mit der sich das Kino in seiner Bestrebung und Fähigkeit nach Besserung durch das gesamte letzte Jahrhundert eingehend beschäftigt hat. Und eine Vielzahl an Antworten fließt herbei, genauso wie Geschichte fließt und sich ereignet, immer weitere Fragen stellend – mit jedem ungerechten Tod, mit jedem Massenmord, mit jedem Krieg und mit jedem Genozid, weshalb sich auch das Kino mit der Repräsentation dessen weiterhin auseinanderzusetzen haben wird – aber wie? DE FACTO bietet eine mögliche Antwort darauf. Durch seine rigorose und sehr präzise Form findet der Film Mittel, Täter systematisch begangener Verbrechen der jüngeren Zeitgeschichte zu repräsentieren, ihre Weltanschauung zwar sondierend und prüfend ohne diese jedoch jemals auf den Zuschauer zu replizieren. Das Ästhetische und das Politische des Filmes sind weit entfernt davon eine rein zweigliedrige Formel anzubieten, im Gegenteil – sie sind eine und dieselbe Energie, gebündelt in einer herausfordernden Tour de Force. BIEFF, Bucharest International Experimental Film Festival, Flavia Dima

Ein Mann sitzt in einem Raum, dessen Architektur geometrisch beschaffen ist und dessen weite scheibenlose Fenster einen Ausblick in den Wald freigeben. Er sitzt an einem Tisch, dessen Oberfläche, wie jene eines Spiegels, die Vegetation und die Architektur reflektiert. Er beginnt zu sprechen. Die Einstellung ist statisch, dauert 25 Minuten und ist ein Ich-Monolog, der durch sehr kurze Sprechpausen gebrochen wird. Er spricht schnell und gleichmäßig, seine Stimme ist neutral, sein Gesicht ist ausdruckslos. Was er sagt, hat nichts mit seinem eigenen Leben zu tun und vermittelt nichts voran er Anteil gehabt hätte. Es ist die Erzählung anonymer Ausführender, Täter kollektiver Verbrechen, deren Aussagen im Laufe der Geschichte der Konzentrationslager und Genozide des 20. Jahrhunderts gesammelt und bewahrt wurden. Die Kinoleinwand wird für eine Sekunde schwarz ehe ein anderer, älterer Mann auf der anderen Seite des Tisches desselben, jedoch anders arrangierten Raumes sitzend, einen weiteren Monolog zu sprechen beginnt. Er berichtet nicht über Fakten von Massenverbrechen; er versucht über deren Logik zu sinnieren, deren Anthropo-Logik. DE FACTO: Fakten und ihre Bedeutung, die sich der Vernunft widersetzt. Die Herangehensweise, die Selma Doborac erarbeitet hat, setzt durch das Medium Film eine unerwartete Kapazität frei, um Massenterror und dessen dehumanisierende Prozesse verständlich zu machen. Das gelingt mittels De-Kontextualisierung (wir wissen niemals um welches Lager oder welches Massaker es geht) und mittels De-Personalisierung (wir wissen niemals wer spricht, da die Aufgabe des Schauspielers auf den Akt des Sprechens reduziert ist, den Text pur zu rezitieren, die Gewalt und die Meditation die darüber entsteht). Gleichzeitig die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele und die Performanz der Philosophie des Aktes erforschend – der Akt des Erzählens, der Akt des Tötens, die Darstellung des Schauspielers, die sich mit der Präsentation der verübten Verbrechen in einem taumeligen Ausmaß vermengt –, legt DE FACTO schier das Kino bar, um, sauber und ohne Effekte, seine höchste radikale kritische Macht zu demonstrieren. FID Marseille International Film Festival, Cyril Neyrat

Für ihren zweiten Langfilm hat sich die Regisseurin Selma Doborac einer schwierigen Frage zugewandt: Wie kann sich das Kino mit Täterschaft, extremer Gewalt, Staatsterror und Zeugenschaft davon auseinandersetzen, ohne damit gemeinsame Sache zu machen? Den Weg direkter Repräsentation verwirft DE FACTO. Auch von einem Reenactment, bei dem echte Täter ihre Verbrechen vor laufender Kamera reproduzieren, will der Film nichts wissen. Stattdessen arbeitet die Regisseurin mit zwei Schauspielern, Christoph Bach und Cornelius Obonya, setzt sie in einen Pavillon in einem Park an einen Tisch, den der Künstler Heimo Zobernig entworfen hat, und lässt sie, isoliert voneinander, in langen, präzisen Einstellungen Texte sprechen, deren Adressaten man hors champ vermuten kann. Passagen aus Gerichtsurteilen, Täterberichte, Zeugenaussagen, Bekenntnisse von Whistleblowern, bisweilen auch philosophische Texte sind ineinander verwoben. Immer wieder ist es kaum auszuhalten zuzuhören. DE FACTO ist ohne Frage eine Herausforderung für die Zuschauer*innen – allerdings keine, die ihren Zweck in sich selbst hätte, sondern eine, die, indem sie einem analytischen Interesse folgt, Möglichkeiten der Erkenntnis schafft. Berlinale, Internationale Filmfestspiele Berlin, Berlinale Forum, Cristina Nord

Ein Film, der radikal prägnant ist. Zwei Schauspieler sind abwechselnd zu sehen, sie sprechen an einem Tisch sitzend in hohem Tempo Texte, die auf wahren Begebenheiten der jüngeren Zeitgeschichte beruhen: Täterbekenntnisse und Legitimationen, Erinnerungen an routiniert durchgeführte Massaker, Folterungen, Exekutionen und sexualisierte Gewalt. Worte geben extreme Gewalthandlungen wieder, beschreiben ihre körperlichen und geistigen Folgen, kommentieren Beteiligte und Situationen. DE FACTO von Selma Doborac zählt seit seiner Premiere beim Forum der Berlinale zu den am intensivsten diskutierten Filmen des aktuellen Festivaljahres. Wie schon in ihrem ersten Langfilm THOSE SHOCKING SHAKING DAYS widersetzt sich die Regisseurin gezielt den gängigen Strategien des Dokumentarfilms zur Auseinandersetzung mit Gewalt. Sie verweigert direkte Abbildungen, unterwandert Schaulust, unterbindet persönliche Betroffenheit und Sentimentalität sowie eine erzählerische oder journalistische Einordnung. Stattdessen verhandelt sie mit einer klaren und souveränen filmischen Form, was eine Distanzierung von Gewalt und eine Positionierung zur Gewalt für Künstler*innen und das Publikum tatsächlich bedeuten können, bedeuten müssen. Selma Doboracs Film veranschaulicht, wie schwierig und wichtig es bleibt, um die Wirklichkeit zu ringen – in all ihrer Drastik. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest, Dennis Vetter

Ein Mann sitzt an einem Tisch vor einem offenen Mauerwerk, dahinter ein Wald. Eine unermüdlich nachrückende Wortgewalt füllt den leeren, vorerst kontextlosen Raum. In atemlos-rasantem Monolog legt der Mann seine Zeugenschaft an Gräueltaten ab, erzählt von Lagerarbeit, Erniedrigung, Demütigung, Folter, Gewalt und Vergewaltigung, von gebrochenen Menschen, würdelosem Leben, Überleben und Sterben. Im zweiten Bild erscheint ein weiterer Mann, auch er verkörpert einen Täter. In drei Akten geben die zwei Schauspieler ohne Schnittunterbrechung Zeugen- und Täterberichte von Konflikt-, Krieg- und Gewaltsituationen wieder, ohne historische, geografische oder gesellschaftliche Kontexte zu benennen. Das Gesagte beruht auf Aussagen von Tätern und Überlebenden, Gerichtsurteilen und Protokollen verschiedener zeitgeschichtlicher Geschehnisse. Losgelöst von Individuen und Systemen ebenso wie von Mitgefühl, Schuldeingeständnis, Verteidigung oder Rechtfertigung verschmelzen die von den Schauspielern verkörperten Standpunkte, Rollen und Perspektiven zu Archetypen von Tätern und bringen in einer konzentrierten Kumulation der Fakten Essenz und Extrem von Tat und Täterschaft hervor: das Ablegen der Vernunft, die freie Enthemmung von Aggression, die Eskalation von Brutalität, die Entfesselung von Gewalt und die Verselbstständigung derselben. Innerhalb eines minimalistisch ausgestatteten Settings und mit allumfassender Wucht des Wortes übersetzt Selma Doborac die philosophische Auseinandersetzung mit Täterschaft in eine bis ins kleinste Detail minutiös durchdachte filmisch-literarische Komposition, die in ihrer Dauer, Konsequenz und Kompromisslosigkeit beharrlich bleibt wie ein*e Richter*in beim Verhör. Auf inhaltlicher, formaler und sprachlicher Ebene performt DE FACTO Vorgänge, Strategien und Methoden der Entmenschlichung: Emotionslos, zeit- und effizienzgetrimmt werden Fakten in schauspielerischer Meisterleistung von Christoph Bach und Cornelius Obonya ebenso mechanisch rezitiert, wie die besprochenen Taten ausgeführt wurden. Die filmische Übersetzung der Rolle der Sprache und die dramaturgische Inszenierung von Haltung, Körper, Gestik und Blick bringen eine neue Form der Dokumentation, Archivierung und Weitergabe von Zeugenschaft hervor, für die es keine Abbilder braucht, um zu verstehen. Selma Doboracs DE FACTO ist ein Meisterwerk über Vernunft, Moral, (un-)menschliche Abgründe und die Essenz von Gewalt. Diagonale, Festival des Österreichischen Films, Martina Genetti

Jury-Statements

In einem minimalistisch-kühlen Setting treten zwei Charaktere auf. Ihre verbalen Ausführungen bilden eine drastische Rede, die sich an ein unsichtbar und stumm bleibendes Gegenüber richtet. Vom ersten ausgesprochenen Satz an entwickelt sich daraus ein Sog in die schwer aushaltbare Realität menschlicher Grausamkeit. Die beiden Männer waren maßgeblich an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt und legen jetzt ungehemmt Rechenschaft über ihr Handeln und dessen Beweggründe ab. In die unheimliche Alltäglichkeit ihrer Formulierungen mischen sich immer wieder Begriffe, die einen Horizont von historischen Referenzen eröffnen. DE FACTO präsentiert nicht einfach zwei Täter, sondern bietet eine szenische Reflexion über Täterschaft und die sozialpsychologischen Dimensionen von Massengewalt. Die Dramatis personae sind keine Individuen sondern zu lesende Kunstfiguren, geformt aus einer Vielzahl verdichteter und ineinander verwebter Zeugnisse dokumentierter genozidaler Verbrechen. Mit unglaublicher Wucht macht der Film nur durch das gesprochene Wort und seine Verkörperung das Nachleben der Gewalt ebenso erfahrbar wie ihre bedrohliche Aktualität. Selma Doborac ist ein außergewöhnlicher und hochintensiver Film gelungen, der wie kaum ein anderer zuvor zerstörerische (Gruppen-)Dynamiken und das Inhumane im Menschen auch philosophisch zu denken gibt. DE FACTO interveniert in unsere Tendenz, die unangenehme aber notwendige Auseinandersetzung mit Massengewalt zu verdrängen. Er ermöglicht eine neue Form künstlerischer Zeugenschaft, die auch unseren Glauben an Gerechtigkeit herausfordert. Berlinale, Internationale Filmfestspiele Berlin, Berlinale Forum, Caligari Filmpreis, Jury-Statement, Silvia Bahl

Schicht um Schicht legt sich über das Gesagte. Sorgfältig orchestrierte Details in Bild und Ton kontrastieren die brachiale Gewalt der Worte. In atemloser Rhythmik vorgetragen, steigt der Film in die Köpfe von Tätern und Kriegsverbrechern und präsentiert eine Innenansicht – ohne zu werten und ohne zu dramatisieren. Der Sog, der sich daraus entwickelt, ist schmerzhaft und nachhaltig. Während Szene für Szene das Licht den Schauplatz im Wald verlässt, bleibt das Kino in unseren Köpfen hell erleuchtet. Die Bilder legen Zeugenschaft über Gräueltaten ab, die leider allzu gegenwärtig sind. Der Regisseurin ist ein Meisterwerk über die Frage nach Moral und Entfesselung von Gewalt gelungen. Crossing Europe Film Festival, Crossing Europe Local Artist Award, Jury-Statement, Nicola von Leffern

Zunächst möchten wir dem Sarajevo Film Festival zu einer hochwertigen Auswahl in dieser Kategorie gratulieren. Die Auswahl bestand aus einer eklektischen Mischung aus Spielfilmen, Dokumentarfilmen und Kurzfilmen. Alle Filme sind von Regisseurinnen gemacht und sind entweder Debüts oder zweite Filme. Alle sieben Filme, die wir gesehen haben, sind von hoher Qualität, was es für uns schwierig gemacht hat einen Gewinnerfilm auszuwählen. Der Film, den wir heute Abend für Promoting Gender Equality auszeichnen, ist wahrscheinlich der mutigste und gewagteste Film in diesem Wettbewerb. Wir waren uns einstimmig einig, dass dieser Film nicht nur zeitgemäß und zeitlos zugleich ist, sondern auch ein außergewöhnliches Werk von filmischer Kraft und künstlerischer Qualität darstellt. Dieses sowohl filmisch als auch literarisch kühne Werk zeigt uns die ernsthafte Gefahr der Entmenschlichung des Anderen, unabhängig von Region oder Zeit, in der wir leben. Das Werk ist rigoros, fesselnd und gleichzeitig manchmal unglaublich schwer anzusehen, mittels Schauspiels von erstaunlicher Virtuosität nimmt der Film uns auf eine Reise der Brutalität und des Bösen mit. Unter Einsatz von schonungslosen Zeugenaussagen, die mitverdeutlichen, wie die Körper von Frauen zu Machtinstrumenten werden, thematisiert der Film auch das Schicksal der Geschlechter in einem Umfeld von Aggression und Kriminalität. Durch Anonymisierung der geschilderten grausamen Ereignisse, legt der Film ihre universelle Gültigkeit frei – und formuliert eine deutliche These für Frieden. Er ist unvergesslich – unglaublich verstörend und gleichzeitig eine essenzielle Seherfahrung. Für alle Generationen jetzt und in Zukunft. Wir vergeben den Preis an DE FACTO von Selma Doborac. Sarajevo Film Festival, Special Award for Promoting Gender Equality, Jury-Statement, Mila Schlingemann

 

Interviews, Essays & Reviews

De Facto. Interview Cyril Neyrat & Selma Doborac. FID Marseille International Film Festival

Nichts ungeheuerer als der Mensch: Der Caligari-Preisträgerfilm De Facto. Essay von Silvia Bahl. Filmdienst

Berlinale Forum 2023. Review by Darren Hughes. Filmmaker Magazine

De Facto: The Creeping Shadow in 73rd Berlinale – Berlin International Film Festival. Review by Elena Rubashevska. FIPRESCI

Selma Doborac's DE FACTO: A Review from Diagonale Film Festival by Noemi Ehrat. Radical Art Review

De Facto. Sarajevo Film Festival. Review by Carmen Gray. The Film Verdict

De Facto. Gijón International Film Festival. Review by Savina Petkova. Cineuropa.org

De Facto – Entlang der Spur der Monologe von Genoziden. Essay von Sanjin Pejković. ResPublica

Hervorgeholtes vergegenwärtigt – De Facto von Selma Doborac. Essay von Patrick Holzapfel. Fidback, Revue de cinéma

Augenhöhen: Ein Gespräch mit Selma Doborac zu De Facto. Patrick Holzapfel & Selma Doborac. Jugend ohne Film

Kinostart mit Unterstützung des Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS)